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Wenn es eine Formel für ein gelungenes Leben gibt, so muss sie das Verlangen nach Wissen, die Leidenschaft für eine bestimmte Sache und das Bedürfnis beinhalten, an einem Aufbauwerk teilzuhaben. All dies hat im Dasein von Pierre Ramus (eigentlich Rudolf Grossmann, 1882–1942) seinen Platz gefunden. Als Vordenker und als rastloser Aktivist eines gewaltlosen Anarchismus gilt er bis heute als der bedeutendste Vertreter der libertären Strömung in Österreich. Ob in verschiedenen gewerkschaftlichen Zusammenhängen vor dem Ersten Weltkrieg, ob in den Kreisen der Antimilitaristen zwischen 1914 und 1918 oder in der Siedlungsbewegung der Zwischenkriegszeit – es sind viele Bereiche, in denen die Spuren Ramus’ auffindbar sind. Der Ausgangspunkt Ramus’ war ein vielschichtig angelegter Kulturanarchismus. Seine publizistische Tätigkeit betraf aber immer wieder auch ökonomische Fragenstellungen, seine unmittelbare politische Heimat fand er im „Bund herrschaftsloser Sozialisten“. Weitgereist und international gut vernetzt, stets aufgeschlossen gegenüber gedanklichen Anregungen, ist Ramus am ehesten als ein „europäischer Libertärer von Welt“ zu beschreiben. 1938 aus Österreich vertrieben, verbrachte er die Folgejahre in der Schweiz, in Frankreich und in Nordafrika. Nach vielen Bemühungen erhielt er ein Visum für Mexiko. Durch Krankheit jedoch bereits schwer gezeichnet, verstarb er auf der Überfahrt in das sichere Exilland.
Der Nachlass Ramus’ befindet sich weitgehend komplett erhalten am „Internationalen Institut für Sozialgeschichte“ (IISG) in Amsterdam. Die in Wien ansässige Pierre Ramus-Gesellschaft konnte in den vergangenen Jahren zusätzliche Materialien sichern, sodass nun ein umfassendes Bild im Hinblick auf das vielfältige Wirken Ramus’ entwickelt werden kann.
Nach 1945 sind einzelne Texte Ramus’ immer wieder neu aufgelegt worden, eine Herausgabe seiner Schriften in gesammelter Form fehlt jedoch bis heute. Dieser Mangel soll nun behoben werden. Der vorliegende erste Band der Werkausgabe umfasst die biografischen Schriften Ramus’, die in der gewählten Chronologie zugleich wichtige Eckpunkte hinsichtlich der Herausbildung des modernen libertären Denkens darstellen. Die Folgebände sollen die rechtsphilosophischen Arbeiten sowie zentrale Beiträge zur sozialen Theorie und Praxis beinhalten. Ein eigener Band wird sich der Kritik Ramus’ an der Strömung des Marxismus widmen. Vorläufig ist die Werkausgabe auf acht Bände angelegt. Die einzelnen Texte werden einheitlich an die neue Rechtschreibung angepasst, wobei stellenweise auch eine behutsame sprachliche Überarbeitung erfolgt. Jeder der Bände soll durch einen einleitenden Teil entsprechend abgerundet werden.
(Aus dem Vorwort von Gerhard Senft)
(Quelle: aLibro)